Volle Flaschen, leere Gläser, ernüchterte Gäste

In der Schweiz wird immer weniger Wein getrunken. Wenn ich im Supermarkt so die Einkäufe beobachte, müssten Restaurants und Weinhandlungen die grössten Rückgänge verzeichnen. Was gar nicht verwunderlich ist, wenn man die Preis- und Werbeaktionen von Denner, Coop & Co. verfolgt. Restaurants wären eigentlich schon lange gezwungen, ihre Weinstrategie zu überdenken. Das ist für viele Betriebe eine Überlebensfrage, aber die Branche tut so, als wenn nichts passieren würde. Dass die Gäste weniger trinken, hat aber nichts damit zu tun, dass Sie es sich nicht leisten könnten. Einerseits tendiert der Weinkonsum in Restaurants von Quantität zu Qualität – und das ist sehr erfreulich! Andererseits trinken die Gäste weniger oder müssen vernünftiger trinken. Es sind beim abendlichen Dinner nicht immer drei bis sechs Personen dabei, die für den Flaschenwein ideal wären. Auch gibt es viele Business- Gäste, die alleine essen und trotzdem guten Wein konsumieren möchten. Für manche Paare ist auch eine ganze Flasche Wein zu viel, weil man noch selber heimfahren will. Sie alle würden trotzdem gerne Wein trinken, was aber oft gar nicht so einfach ist. Es gibt in der Gastronomie und Hotellerie viel zu wenig Weine in kleinen Quantitäten!
Ach ja, und dann sind da doch noch die Flaschenweine im glasweisen Verkauf. Dort scheint die magische Zahl drei den Takt anzugeben, drei Weisse und drei Rote. Dazu noch mit dl-Preisen, die bei einem verkauften Glas Wein schon den gesamten Einkaufspreis decken. In Konsumenten- kreisen wird offen von einer Offenwein-Bestellung abgeraten mit der Begründung, dass es billige Weine mit zu hohen Preisen sind – und wer weiss denn, wie lange sie schon herumstehen? Da bestehen noch viele Chancen für den Sommelier und Wirt, und es gibt Platz für üppige Innovationen und Kreativität. Dass es auch anders geht, zeigen Betriebe mit hervorragender Weinstrategie, bei denen jede Flasche Wein unter hundert Franken auch per Glas erhältlich ist. Und dort wird nicht einfach ein anonymes Glas Wein auf den Tisch gestellt, ohne die Weinflasche zu zeigen! Warum bleibt eigentlich die Weinflasche nicht einfach auf dem Tisch, bis der Gast genug hat? Später wird nur der effektive Konsum verrechnet. In der Mehrheit konsumiert der Gast eben mehr, als er am Anfang wollte. Wenn der Wein schmeckt, nimmt er den Rest sogar noch mit nach Hause. So wird aus einem Glas Wein eine ganze Flasche. Und es gibt Betriebe, wo man den angebotenen Wein schon vorher unverbindlich probieren kann.
Qualitätsbewusste Gäste sind gerne bereit, bei glasweisem Ausschank von Flaschenwein-Qualität einen höheren Preis zu bezahlen. Zudem entspricht dies auch besser den heutigen Bedürfnissen, zu jedem Gang einen anderen Wein zu geniessen, insbesondere dann, wenn nicht alle das gleiche Gericht gewählt haben. Dem Wirt sollte es eigentlich gleichgültig sein, ob er seine Marge mit mehreren Gläsern oder mit einer Flasche verdient. Viele Gäste in renommierten Restaurants sind empört wenn der Sommelier von «ihrem» Wein einen Probeschluck nimmt, obwohl der Sommelier fast darauf angewiesen ist, wenn er einen konstanten Überblick über seinen Keller behalten will. Wer kann es sich schon leisten, regelmässig teure Flaschen für Proben und Schulung zu öffnen! Beim offenen Ausschank hat sich das Problem von selbst gelöst, weil der nicht verkaufte Inhalt für ein Haus-Tasting verwendet werden kann. Abgesehen davon hat der Wirt, Hotelier, Sommelier oder Restaurantchef laufend die kostengünstige und kontinuierliche Möglichkeit, seine Bestände zu überwachen und deren Entwicklung zu verfolgen. Es gibt noch viel zu tun, damit Gäste statt Bier oder Mineralwasser ein Glas Wein bestellen. Besser heute ein Glas Wein mit anständiger Rendite verkaufen, als den Wein monatelang im Keller lagern, bis er seine Trinkreife überschritten hat – oder eine Brauerei die Liegenschaft aufkauft.

Der AutorBruno-Thomas Eltschinger ist Präsident des Deutschschweizer Sommelier-Verbandes (SVS/ASSP) und Leiter der Sommelier-Fachschule Zürich. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich professionell mit der internationalen und schweizerischen Weinszene.

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