Dienen, ohne ein Diener zu sein

Ich habe Angst um einen der wichtigsten, einzigartigen Erfolgsfaktoren der Schweizer Hotellerie und Gastronomie: die Kunst am Dienen. Mit den Begriffen Dienen, Dienst und Diener schwingen im alltäglichen Gebrauch Negativ- assoziationen mit wie Fremdbestimmung, Minderwertigkeit, Selbstaufgabe, Unfreiheit und Unterwürfigkeit. Kein Gedanke an urmenschliche Bedürfnisse wie Liebe, Fürsorge, Geduld, Hilfsbereitschaft, Zuneigung und Mitgefühl. Jeder Beruf ist aber eigentlich ein Dienst! Vom Minister und Papst bis zum Bäcker und Lehrer. Der Kellner, Koch, Sommelier, Rezeptionist und Hoteldirektor – sie alle dienen den Gästen, aber gleichzeitig auch der Gesellschaft und unseren Mitmenschen. Und gerade dieses Dienen verleiht jedem Beruf seine Würde und Güte. Der Mensch ist ein spezielles Wesen, das dienen kann, aber er liebt es auch, selbstlos bedient zu werden. Im Frühjahr war ich in Tokyo, und meine persönlich beste Erinnerung – neben den blühenden Kirschbäumen – ist die unglaubliche Liebenswürdigkeit, Gastfreundschaft und Dienstbereitschaft der japanischen Servicemitarbeiter, Hotelangestellten und Verkäuferinnen. Obwohl sich die Japaner oft verneigten, hatte ich nie das Gefühl, dass sie unterwürfig seien. Ganz im Gegenteil: Ich hatte auch selber oft das Bedürfnis, mich vor ihnen ergriffen zu verneigen.
Wenn wir zum Beispiel die beste Fluggesellschaft der Welt oder das beste Hotel suchen, landen wir im Fernen Osten oder in arabischen Ländern. Nicht, weil sie neuere Flugzeuge, schönere und grössere Gebäude haben. Sie landen immer auf den Spitzenplätzen der Ratings, weil sie nicht «Service am Gast» bieten, sondern dem Gast dienen. Sie tun es nicht nach der alten, schlechten «Herr-und-Diener-Konstellation», sondern sie tun es mit Demut und der Bereitschaft, zu dienen – und zwar auf gleicher Augenhöhe mit dem Gast!
Der grosse Schweizer Hotelier Cesar Ritz prägte einst den Satz: «We are ladies and gentlemen, serving ladies and gentlemen». Gleiche Augenhöhe ist oft wörtlich gemeint. Können Sie sich eine Stewardess einer europäischen Fluggesellschaft vorstellen, die vor Ihnen auf die Knie geht – wegen der gleichen Augenhöhe? Das ist gängige Praxis bei Singapore Airlines. Und das tun sie mit Würde und Demut, aber ohne dass sie sich erniedrigen. Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft! Trotz dieser Tatsache hat die Schweiz den zweifelhaften Ruf, eine «Servicewüste» zu sein. Am Fleiss liegt es nicht, wohl eher an der Mentalität und der gesellschaftlichen Wertschätzung, was das Dienen betrifft.
Dienstbereitschaft ist nicht abhängig von der Nationalität, das widerlegen die Kreuzfahrtschiffe der Luxusklasse. Sie haben Angestellte aus der ganzen Welt – und trotzdem ist die Dienstbereitschaft ihres Personals überdurchschnittlich. Der persönliche Service ist ihr echtes Kapital und die Kunden sind bereit, dafür viel Geld zu bezahlen, ja, und sie kommen jedes Jahr wieder. Unsere Ferien-Erinnerungen prägen langfristig auch die Menschen, die unseren Aufenthalt unvergesslich machen, und nicht das Gold und der Glanz. Gäste suchen keine «Service-Qualität» in einem Hotel oder Restaurant. Gäste erwarten Menschen mit Gastfreundschaft, Höflichkeit, Respekt und Hilfs- bereitschaft. Schon Aristoteles fasste die Synthese von Dienst und Freude in Worte: «Der ideale Mensch fühlt Freude, wenn er anderen einen Dienst erweisen kann.»
Dienen ist Freude, es führt zu mehr Freiheit, mehr Freude, mehr Macht und mehr Sinn im Leben. Wirklich abhängig sind wir heute von perfekten Dienstleistern. Dienen ist nicht mehr Unterwerfung. Dienen ist Macht. Die alte konfuzianische Lehre gilt heute immer noch: Durch Dienen zu herrschen, ist das Geheimnis des Erfolgs. Wahres Herrschen ist Dienen. Die wirklich echte Lust am Dienen muss hier in der Schweizer Hotellerie und Gastronomie erst wieder entdeckt werden. Wer schneller handelt, wird schneller belohnt werden.

Der Autor Bruno Thomas Eltschinger ist Präsident des Deutschschweizer Sommelier-Verbandes (SVS/ASSP) und Leiter der Sommelier-Fachschule Zürich. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich professionell mit der internationalen und schweizerischen Weinszene.

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