Wo ist die Romantik im Weinkeller geblieben?

Die meisten Weintrinker geniessen ihr göttliches Getränk mit der selbstverständlichen Gewissheit, ein reines Naturprodukt vor sich zu haben. Die Werbung suggeriert auch fleissig, dass es sich beim vergorenen Saft von Trauben um ein hundertprozentiges Naturprodukt handelt. Und doch, obwohl es sich beim Wein um ein mehr als 5000-jähriges Kulturgut handelt, könnten wir ihn ohne Manipulation nicht sehr lange geniessen.
Mit Wein sind Emotionen verbunden, positive Erinnerungen und romantische Vorstellungen. Es beginnt schon beim Rebberg, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, Schmetterlinge an Mohnblumen ihren Nektar sammeln, Vögel zwitschern und Bienen summen. Es fehlt nur noch der Spruch, mit dem auch viele Märchen beginnen: Es war einmal…!
Natürlich gibt es noch Rebberge und Winzer, die ihren Wein nach alten Vorbildern produzieren oder das Lesegut sogar mit den Füssen stampfen. Sie verkaufen ihren Wein oft direkt vom Gut und der Kunde ist überzeugt, dass er einen Wein bekommt, wie ihn der Rebberg hergibt. Man sieht Gewölbekeller, wo bei Kerzenlicht dicke Fässer ihr Geheimnis wahren, bis der Winzer kommt und einen Probierschluck nimmt. Heutige Hochstahltanks und Chemikaliensäcke haben in idealistischen Bildern keinen Platz.
Für die Weinherstellung braucht es heute nicht uralte Erfahrung, sondern ausgeklügelte Technik und zahlreiche Instrumente. Was uns die Trauben so grosszügig schenken, verkommt immer mehr zu einem Mode- und Massengetränk, für das sich erdverbundene und traditionsbewusste Winzer schämen. Die Manufaktur für Wein wurde durch einen industriellen Produktionsprozess abgelöst. Bekannte und gern verwendete Begriffe wie Jahrgang, Rebsorte, Terroir oder Lage spielen nur noch bei einem Bruchteil der weltweit produzierten Weine eine ernst zu nehmende Rolle. Heute wird bei der Vinifizierung das gesamte Register lebensmitteltechnischer Raffinesse verwendet. Es wird im Stahltank vergoren, unter Schutzgas, um den Sauerstoffkontakt des Mostes zu minimieren. Es wird mit verschiedensten Mitteln entschleimt, geschönt, stabilisiert und gefiltert. Naturnahe Weinproduktion in grosser Menge ist romantischer Unsinn. Es ist sehr aufwändig, Wein in grossen Mengen zu produzieren, der stabil und qualitativ einwandfrei gleich bleibt. Zahllose Mittel und Methoden begleiten eine massentaugliche Weinproduktion. Das beginnt mit der Zugabe von Schwefel, Hefen, Zucker, Weinsäure, Salzen, Wasser und Schönungsmitteln, denn das ist Alltag im modernen «Winzerhandwerk».
Weiter geht es dann mit Nährstoffen, Enzymen, Mikro-
Oxidation, Eichenchips und Kastanienmehl über Ascorbinsäure bis zu den Sorbaten. Neben solchen (möglichen) Zugaben gibt es Verfahren wie Kaltmazeration, Extraktion, Umkehrosmose, Gegenstromextraktion, Schleuderkegelkolonnen und flash détente. Wenn man all das direkt hintereinander liest, bleibt von einem romantischen Bild des Weinmachens kaum etwas übrig. Es sind Weine, die jeder Identität und Spannung entbehren, jedoch den Massengeschmack ob ihrer Omnipräsenz bestimmen. So verwechselbar sind die auf süsslich, fruchtig und weich getrimmten Produkte geworden.
Doch guter Wein ist ehrlicher Wein, nur das ist echter Wein! Guter Wein ist ein himmlisches Erlebnis. Guter Wein ist nicht industriell in Massen gefertigt, voller Aroma-Hefen und anderen Manipulationen, nur um jeder aktuellen Geschmacksnachfrage das passende Trendangebot zu bieten. Das monetäre Streben und trügerisches Marketing darf die uralte Handwerkskunst der Winzer nicht in eine leb- und lieblose Maschine verwandeln.
Zum Glück gibt es sie noch, die «Vins vignerons» und Winzer, die traditionellen Wein erzeugen, mit Ethik, Ehrlichkeit, Gewissen und Empathie. Allein ihnen gehört jedenfalls meine Anerkennung. Nur für deren Weine beinhaltet der aufmunternde Spruch «À votre santé» keinen Zynismus, weil sie der Gesundheit tatsächlich förderlich sind!

Der Autor: Bruno-Thomas Eltschinger ist Präsident des Deutschschweizer Sommelierverbandes (SVS/ASSP). Seit vielen Jahren beschäftigt er sich professionell mit der internationalen und der schweizerischen Weinszene.

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