Wasser soll gratis sein!

In vielen mediterranen Ländern wird zum Wein automatisch und kostenfrei eine Karaffe Wasser serviert. Selbst in den USA und Australien gehört Wasser zur unentgeltlichen Dienstleistung am Gast. Wasser predigen und Wein trinken ist unmoralisch, besonders in der Schweiz, die als «Wasserschloss Europas» gilt. Und gerade hier sollte Wasser ein Menschenrecht sein! Unser Tourismus begann, als die Älpler den englischen Bergsteigern ein Glas Milch oder ein Stück Käse verkauften und damit ein wenig Geld verdienten. Hätten unsere Vorfahren damals auch für ein Glas Wasser Geld verlangt, wäre unser Ruf bald ruiniert gewesen. Jetzt sind wir auf bestem Weg, diesen guten Ruf und unseren Instinkt zu verlieren. Vorurteile wie «Schotten sind geizig», «Deutsche sind arrogant», «Radrennfahrer sind gedopt» oder «Glatzköpfe sind Neonazis» sind auch intolerant. Aber bald wird der Tag kommen, da gelten wir Schweizer als endlos gierig, weil wir uns selbst am Wasser, mit dem wir im Überfluss gesegnet wurden, bereichern. Wir sind auf dem besten Weg, uns als Reiseland der Erbsenzähler und Abzocker zu etablieren. Unsere Banker waren nur der Start vom «Good Guy» zum «Bad Guy». Auch unsere Hotellerie gilt als zu teuer und oft veraltet, zudem scheint unsere Gastfreundschaft nur noch rücksichtsloser Gewinnmaximierung zu dienen.
Nein, ein Glas Leitungswasser ist nicht gratis. Entgegen der weitverbreiteten Meinung hat ein Gast keinen Anspruch darauf, gratis das Amtsblatt samt einem Glas Wasser zu bekommen. Eine Gaststätte ist ja auch keine Lesestube. Jeder Wirt darf für «Hahnenburger» einen selbst festgelegten Preis verlangen. Das gilt auch für Brot und Gedeck. Wenn sie nicht im Menüpreis inbegriffen sind, sollte der Wirt aber darauf hinweisen. Wasser ist selbstverständlich nicht gratis, eine Dienstleistung kostet immer etwas. Echte Gastgeber offerieren allerdings Wasser aus der Leitung grosszügig. Ich kenne keine Gäste, die in ein Restaurant gehen, um nur Leitungswasser zu trinken, dafür gibt es Dorfbrunnen und Toiletten. Gäste kommen, um zu konsumieren! Wenn sie sparen wollen, gehen sie zu Lidl, Aldi oder Denner. Auch ein Gast, der «Hahnenburger» bestellt, leistet sich oft ein Glas oder gar eine Flasche Wein. Deshalb ist es kontraproduktiv und kleinlich, für Wasser eine Gebühr zu verlangen. Ich plädiere für Grosszügigkeit! Wer nur eine halbe Vorspeise will, bitte sehr! Wer Wasser, Brot und einen zweiten Dessertlöffel bestellt – worin liegt das Problem? Ich nenne das Werbung in eigener Sache. Solche Dienstleistungen sind viel wirkungsvoller, als modernste Websites und schönste Inserate!
Mir ist schleierhaft, warum Entscheidungsträger der Gastro-Verbände konsumierenden Gästen partout kein Leitungswasser offerieren wollen. Sie sehen das sogar als Eingriff in die Gewerbe- und Gestaltungsfreiheit des Unternehmers. Es sei ein rein unternehmerischer Entscheid, ob man dem Gast kostenloses Leistungswasser offerieren wolle, sagen die Verbände. Ich kann dieser Argumentation nicht folgen. Wo bleibt da die Vision von echter Gastfreundschaft, wenn Leitungswasser und herzlicher Service für den Gastgeber nur mit Aufwendungen und Kosten verbunden sind? Wenn selbst an Hotelfachschulen gelehrt wird, dass ein Liter Leitungswasser über zehn Franken kostet, verwundert es nicht, dass unser Berufsnachwuchs bald in jedem Gast nur noch eine Melkkuh und in jeder Dienstleistung einen Kostenfaktor sieht. Ob es sich um Leitungswasser oder Mineralwasser handle, sei nicht erheblich, lese ich in entsprechenden Medien. Solche Argumente – von «Berufsleadern»! – sind nicht nur branchenschädigend, sondern peinlich! Bei den Römern und im Mittelalter hat man statt Wasser Wein getrunken, weil das Wasser verseucht war. Heute haben wir sauberes Wasser. Und Weintrinken wird zum Genuss. Aber Wasser bedeutet Leben! Solange es noch so günstig verfügbar ist, sollte es im Gastgewerbe keine Geldfrage sein, wer im Restaurant ein Glas Wasser bekommt. Wasser geben ist gelebte Menschlichkeit.

Der Autor: Bruno-Thomas Eltschinger ist Präsident des Deutschschweizer Sommelierverbandes (SVS/ASSP). Seit vielen Jahren beschäftigt er sich professionell mit der internationalen und der schweizerischen Weinszene.

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