Hochkonjunktur für Sommeliers?

Das könnte für die Michelin- und Gault/Millau-Restaurants zu einem echten Problem werden: Gäste werden immer anspruchsvoller und sie sind sehr gut informiert. Sie möchten nicht nur wissen, wo ihr Kobe-Rind seine letzte Massage hatte, oder unter welcher Eiche das Mangaliza-Schwein im Schlamm suhlte, sondern auch, von welcher Kuh der Schaum ihres Cappuccinos stammt. Die verfeinerten Sensorik- und Geschmacksnerven des «Connaisseurs» verlangen nach Spitzenberatung für Genuss, Luxus und Lifestyle. Auch der Sommelier-Beruf wird jetzt von diesen Erwartungen nicht mehr verschont. Vorbei sind die Zeiten, als der Mann mit dem Tastevin am Hals für Wein und Getränke zuständig war. In Zukunft wird ein Spalier von Genuss- und Sensorikmanagern bereitstehen und sich um das Wohlbefinden der heutigen «High Society» und «Jeunesse Dorée» kümmern. Am Eingang nimmt immer noch der Valet-Parkservice die Wagenschlüssel in Empfang, und die Garderobiere ist nach wie vor für die Pelzmäntel zuständig. Aber ein Sommelier allein genügt heute längst nicht mehr! Und kaum hat der Gast Platz genommen, eilt auch schon ein Wasser-Sommelier herbei, um zu einem einmaligen Geschmackserlebnis zu verhelfen und vielleicht auch noch den Durst zu löschen.
Sie denken, Wasser sei reines Wasser? Da würde Ihnen jeder Wasser-Sommelier entschieden widersprechen. In Edel-Restaurants wird das kühle Nass verkostet wie bester Wein. Natürlich wird das Servieren des Wassers genauso zelebriert wie das Dekantieren eines guten Tropfens. Schliesslich muss das Mineralien-Depot vom Nass getrennt werden. Handlungen wie laut schlürfen und auf der Zunge schmecken gehören dazu, wenn man herausfinden möchte, ob ein Wasser je nach Mineraleinbindung würzige, metallische, dumpfe, weiche oder neutrale Geschmacksnuancen hat. Das Brimborium ums nasse Nichts repräsentiert, welcher Hype die Getränkekarten derzeit dominiert: Mineralwasser ist zum Lifestyle-Produkt geworden! Cloud Juice von der tasmanischen Insel King Island wird aus 9750 Regentropfen gewonnen. Und ob es sich beim Schickimicki-Wasser «Château d’Eau» tatsächlich um Wasser aus Tasmanien und nicht um Regenwasser aus hiesigen Wolken handelt, sei mal dahingestellt. Ein Hochkaräter für die Prächtigen und Mächtigen im wahrsten Sinne des Wortes ist «Bling H2O» für 80 Franken die Flasche. Das Edelwasser aus den Bergen von US-Tennessee wird neunmal gefiltert, mit einem Naturkorken verschlossen und brilliert mit von Hand applizierten Swarovski-Kristallen…
Aber all das ist nur die Spitze des Sommelier-Eisberges. Die Gegenwart sieht ganz anders aus. Das Wort Sommelier wird in Zukunft allgegenwärtig sein in unserer Wohlfühlgesellschaft. Die Bier-, Tee-, Saft-, Kaffee-, Zigarren-, Schokoladen- und Käse-Sommeliers sind schon alle unter uns. Diese Inflation von Titeln erinnert an königliche Zeiten, als Sommeliers noch die Lebensversicherung der Herrscher gegen vergiftete Weine waren. Ob sich Sterne-Restaurants aber in Zukunft wirklich für jedes Brösmeli und jeden Tropfen einen separaten Sommelier leisten werden, hängt auch von Börsengang und Bonuszahlungen ab. Andere Berufsgruppen stehen schon in den Startlöchern. Um zu tanken, fahren wir dann zum Benzin-Sommelier, bestellen unsere Quatro-Statione beim Pizza-Sommelier, kaufen unsere Berner Rosenäpfel beim Obst-Sommelier und probieren unsere High Heels beim Schuh-Sommelier.
Mit Worthülsen werden Berufsgruppen erfunden, die niemand wirklich braucht – und auch niemand bezahlen will. Bedeutsamkeit erreichen nicht Wichtigtuer und Aufschneider, sondern nur echte, wahre und berechtigte Sommeliers mit Fachkompetenz und Seriosität. Ein neuer Titel würde auch die Garderobiere nicht weiterbringen, selbst wenn sie den Gästen zum Abschied die Pelzmäntel im Wärmeschrank temperiert.

Der Autor: Bruno-Thomas Eltschinger ist Präsident des Deutschschweizer Sommelierverbandes (SVS/ASSP). Seit vielen Jahren beschäftigt er sich professionell mit der internationalen und der schweizerischen Weinszene.

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