Und gib uns unseren alltäglichen Wein!

Obwohl sich immer mehr Menschen vertieftes Weinwissen aneignen, ist Wein heute nicht mehr Teil unseres Alltagslebens. Wein ist zwar beliebt und wird fleissig konsumiert, Wein ist Lifestyle, aber kein «Part of our Life». Der Wein hat sich aus unserem Alltag zurückgezogen. Er ist nun eben ein Lifestyle-Produkt, ein Genussmittel, ein Statussymbol oder ein Suchtmittel geworden. Nicht mehr selbstverständlich ist es, oder nicht alltäglich, dass wir eine Flasche oder ein Glas Wein bestellen. Ich verlange nicht, dass wir jeden Tag Wein trinken! Ich vermisse nur den unverkrampften und natürlichen Umgang mit Wein. In vielen mediterranen Ländern gehört Wein ganz einfach zum Alltag. Ob zum Mittagessen oder zum Aperitif – es ist selbstverständlich, dass man ein Glas Wein trinkt. In vielen Ländern ist Wein immer noch hauptsächlich Lebensmittel. Er ist ein Teil des Lebens und gehört einfach dazu. Man trinkt Wein natürlich zum Essen und man trinkt Wein, wenn eine Feier ansteht, wenn man trauert oder wenn sich etwas Wichtiges ereignet hat.
In Portugal ist es ganz natürlich, wenn der Bauarbeiter sein mitgebrachtes Mittagessen auspackt und dazu die Flasche Wein öffnet. Oder dass jemand, der in Paris im Bistro ein Bier bestellt, mit astronomischem Preis bestraft wird, oder man im Burgenland beim Dorffest am Neusiedlersee vergeblich nach Bier sucht. Die Menschen dort verstehen das Problem nicht, sie haben doch Ihren Wein, der gehört zum Leben. Von der Taufe bis zum letzten Abschied – Wein ist immer dabei. Die Leute in diesen Ländern wissen vielleicht nicht so viel über Wein. Sie belegen keine Kurse, um Wein zu erforschen. Und Sie absolvieren kein Sensorikseminar, bevor Sie eine teure Flasche Wein kaufen. Aber Sie haben einen natürlichen Geschmack für Wein. Und diesen Sinn kann man nicht mit Etiketten, Punkten und hohem Preis blenden. Der Preis ist sowieso oft kein Qualitätsmerkmal für Wein. Er widerspiegelt den Marketingaufwand, das Prestige, die Punkte von Weingurus und das Angebot- und Nachfrage-Verhältnis, die sündteuere Kellertechnik und die zeitgenössischen, architektonischen Denkmäler in den Weinbergen. Leider tragen unsere Restaurants, Vinotheken und Weinbars auch nicht dazu bei, dass Wein eine natürliche Rolle in unserem Alltag spielt. Wenn für 1 dl Wein acht bis neun Franken verlangt werden, kann das aus kaufmännischer Sicht in Ordnung sein, aber gästepsychologisch ist es der falsche Weg.
Gerade der Offenwein-Ausschank sollte die Gäste verführen und für neue Weine animieren. Es sollte keine «Investition» bedeuten, ein 2-dl-Glas Wein zum Mittagessen bestellen zu können. Und es sollte ein guter Wein sein! Es muss nicht der teuerste, darf aber auch nicht der «einfachste» Wein sein. Es muss nur gute Qualität sein – ohne Wenn und Aber. Ein Wein, auf den der Wirt oder Gastgeber stolz sein kann.
Wenn ich in Portugal in irgendeinem Restaurant den Hauswein bestelle, kann ich sicher sein, dass es ein guter und ehrlicher Wein ist. Die Gäste würden es dem Wirt nie verzeihen, wenn er ihnen schlechten Wein servieren würde. Und der Stolz des Gastwirtes würde es auch nie erlauben, das zu tun. Heute ist Wein weder im Alltag, noch in der zeitgenössischen Kunst präsent. In der Antike war Wein auf Wandmalereien, in Grabkammern der Pharaonen und auf antiken griechischen Vasen präsent. Oder denken wir an die Renaissance oder die Zeit des Barocks, wo der Wein auf Gemälden fast immer seinen Platz hatte. Auch in der Musik, in Volksliedern oder in Gedichten war der Wein stets ein beliebtes Thema.
Heute präsentiert sich der Wein in Form von Fachmagazinen, Weinbüchern und Weinmessen – oder höchstens noch auf Weinetiketten von bekannten Künstlern. Wein wird seziert und analysiert, bewertet und bepunktet. Aber guter Wein möchte nur eines: getrunken werden – und zwar unverkrampft und selbstverständlich. Denn Wein macht unser Leben lebenswerter und farbiger.

Der Autor Bruno-Thomas Eltschinger ist Präsident
des Deutschschweizer Sommelierverbandes (SVS/ASSP).
Seit vielen Jahren beschäftigt er sich professionell mit der internationalen und der schweizerischen Weinszene.

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