Der eingebildete Wein-Blender und Bluffer

Alles wäre eigentlich ideal für einen gelungenen Abend. Die Speisekarte ist verführerisch und die Weinkarte überwältigend. Bald haben wir uns für das Menü entschieden. Jetzt fehlen nur noch die passenden Weine. Aber nun schlägt die Stunde für unseren Freund und Tischgenossen, der zufällig ein Weinkenner ist. Als ausgesprochener Weingeniesser hat er seine Kenntnisse an unzähligen Kursen erworben. Seine Ferien sind immer Wein- reisen, und seine Restaurantbesuche bieten die Möglichkeit, all sein Wissen vorzuführen. Den Vorschlag des Sommeliers lehnt er beleidigt ab. Er übernimmt für uns die Weinempfehlung. Das ist seine Sternstunde und unser Pech! Zum Apéro ist sein liebster Champagner Boutique leider nicht aufgeführt. Zur Not muss eben ein Prosecco herhalten, den er als preiswert einstuft. Zur Rotweinwahl zückt er als Erstes sein Jahrgangskärtchen. Natürlich kommen nur die Franzosen, ein Bordeaux oder höchstens ein Burgunder infrage! Für andere Weinnationen hat er nicht viel übrig, diese sind höchstens etwas für Wein- Banausen. Wir müssen nun einen ausführlichen Vortrag erdulden über die Geheimnisse, Tücken und Parker-Punkte der Bordeaux-Provenienzen.
Wir hätten aber wirklich gerne (endlich) unseren Wein bestellt, damit wir das Degustationsmenü geniessen können. Langsam hege ich den Verdacht, dass dieser Abend zu einem Desaster werden wird. Unser Gast am Tisch faselt und schwafelt sinnlos über Wein, bis sich die Korken biegen, und das später genauso aufgeplustert über Zigarren, Whisky, Autos und Frauen. Hier ist ein wahrhafter Schatten-Parker am Werk. Doch dann ist es endlich so weit: Nach mehreren Konsultationen mit seinem iPhone verspricht er uns den himmlischen Weingenuss mit einer Flasche Château Pontet-Canet 2009 Pauil- lac. Beim Probieren lamentiert er etwas von einer zweistündigen Belüftung, was uns einen weiteren Schrecken einjagt mit der Befürchtung, dass unser gemütlicher Abend eine unendliche Geschichte werden wird. Nach einer halben Stunde Lüftung attestiert ihm unser Freund, mit dem Aromarad in der Hand, endlich eine komplexe Nase mit tiefer Aroma- tik, aber einem verschlossenen Gaumen, welcher die Eleganz und Finesse eines grossen Weins nur erahnen lässt. Wir durften dabei die unangenehmen akustischen und optischen Nebenwirkungen seiner Testtechnik geniessen. Schmatzen, Schlürfen, Gurgeln, Augen verdrehen, Stirn- runzeln und den Mund spitzen – zum Glück ohne zu spucken.
Uns hat er trotzdem geschmeckt, obwohl der Preis einen schalen Nachgeschmack in unserem Unterbewusstsein und Portemonnaie hinter- lassen hat. Parker habe diesen Wein mit fast dekadenter Fruchtsüsse mit höchsten Punkten benotet. Und René Gabriel attestiere ihm feine Ledernoten, Korinthen, Teer mit fleischigem Gaumen und deutlichem Vanillin, einem Hauch Edelhölzer mit Mahagoni-Touch, geröstetem Kaffee und viel Blackcurrant im Finale, klärt uns unser Freund lyrisch schwärmend auf. Grund genug für ihn, im siebten Weinhimmel zu schweben. Als es um die Frage geht, welchen Wein wir zum Dessert wählen, gibt es einen kleinen Aufstand. Wir bestehen explizit darauf, die Wahl dem Sommelier des Hauses zu überlassen. Einerseits wollten wir das Diner beenden, bevor das Restaurant schliesst. Andererseits konnte er uns nicht noch- mals eine ausführliche Weinbeschreibung mit Pro- und Con- tra-Empfehlungen und Geheimtipps zumuten. Es ist manch- mal praktisch, wenn ein Weinkundiger am Tisch sitzt, aber es kann sehr lästig sein, wenn ein gemütliches Diner zu einer One- Man-Show von sogenannten Weinprofis wird. Beim Abschied fragt uns der Bordeaux-Zampano nach dem nächsten Treffen. Jemand hat plötzlich eine Histamin- Allergie, ein anderer will schon lange ein Bier-Restaurant testen, und der Dritte gerade eine spezielle Entgiftungskur beginnen, welche jeglichen Alkoholkonsum verbietet. Na dann, prosit!

Der Autor Bruno-Thomas Eltschinger ist Präsident des Deutschschweizer Sommelier-Verbandes (SVS/ASSP) und Leiter der Sommelier-Fachschule Zürich. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich professionell mit der
internationalen und schweizerischen Weinszene.

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